Foto: Theater Hagen |
(Dietmar Laatsch) Beginnen möchte ich damit, was zuerst zu hören und dann zu sehen war. Das Orchester stimmte mit seiner Ouvertüre auf einen insgesamt großen Ballettabend ein. Unter der Leitung von Steffen Müller-Gabriel verzauberte das Orchester mit Tschaikowskis Musik, vermochte den großen Reichtum von Klang, Emotionen, Drama, Komik, Licht und Schatten zur vollen Entfaltung zu bringen. Allein das schon hätte für einen extravaganten Theater-Abend im Großen Haus ausgereicht. Es kamen aber noch viele Sahnehäubchen obendrauf.
Die Begeisterung des Publikums steigerte sich gleich mit dem ersten Vorhang. Mit der Kostümierung und der Bühnenausstattung, Beleuchtung und untermalenden Videosequenzen hat Dorin Gal ein Kunstwerk geschaffen, das stimmig die Aktion der Tänzerinnen und Tänzer auf der Bühne in Szene setzte. Dabei durfte er auf die hohe Kunst der Hagener Theatermalerei setzen. Nicht überall wird dieses hohe Niveau erreicht. Zunächst führte die Dramaturgie dem Zuschauer die Existenz von Schatten- und Lichtwelt vor Augen, um dann auf die Gesellschaft am königlichen Hof zu schwenken, die noch nicht den Einbruch der Schattenwelt erahnend, unbeschwert-unbekümmert ausgelassen feiern darf. Der königliche Hof, eine meisterhaft-geniale Malarbeit der Theaterwerkstätten, war in der Tat eine königliche Kulisse, die den Vergleich zu echten Schlössern wie Sanssouci oder Versailles nicht scheuen braucht.
Dann die Kostümierung. Wahrlich einer königlichen Gesellschaft würdig. Dorin Gal wählte schöne, helle Pastellfarben dafür aus. Die Patin, in ihrem Kostüm ist sie gleich als Mittlerin zwischen Licht und Schatten erkennbar. Die Menschen und Geschöpfe der Schattenwelt kommen hingegen martialisch daher. Interessant die Einspielung von Videosequenzen, die das Dämonische der Schattenwelt verdeutlichen. Das Spiel mit dem Licht krönt die gelungene Ausstattung.
Und dann lässt Ricardo Fernando sein Feuerwerk an Tanzästhetik, Leidenschaft, Spielfreude der Protagonisten, perfekter Choreografie abbrennen. Das fordert gleich von Beginn an beständigen Szenenapplaus. Und sie sind alle glaubhaft in ihren Rollen. Das helle Königspaar, getanzt und gespielt von Hayley Macri und Leszek Januszewski. Lara Liol, als Patin, überzeugt ebenfalls in ihrer schwierigen Mission der Mittlerrolle, der Befreiung der Prinzessin und ihres Auserwählten zu einem märchenhaften Ende.
Hinreißend Prinzessin Aurora. Yoko Furihata gibt ihr die etwas verwöhnte Königstochter, die nicht irgendeinem Prinzen ihr Ja-Wort geben möchte, sondern den Einen für sich sucht, der ihr das Wasser reichen kann. Das sind nicht die Prinzen, die sich ein Stelldichein geben und ihr mit sehr viel komödiantischer Theatralik den Hof machen. Sie lässt sie alle abblitzen. Königin und König sind verzweifelt, auch die Patin hat keine Lösung.
Dann bricht sie unvermittelt herein die Schattenwelt. Der Kampf Gut und Böse, Hell und Dunkel beginnt. Prinz Desire´, Huy Tien Tran, verzaubert Prinzessin Aurora, braucht aber die Unterstützung seiner Mutter Carabosse, Marcelo Moraes, die wahrhaft bösartig und gefühlskalt daherkommt, um dann letzten Endes die Braut einfach entführen zu können. Dass er selbst ein Gefangener ist, den die Liebe von Aurora zu seinem eigenen Ich entfesselt, wird dann in den weiteren Szenen deutlich und löst sich in der Schlussszene endgültig auf, wenn er im hellen Hochzeitsgewand dem guten Finale zustrebt.
In der Schattenwelt gefangen begreift Aurora langsam. Sie sehnt sich zurück, kann aber nicht entfliehen. Der Blaue Vogel, Andre´ Boeta, ist so gefangen wie sie selbst, ihm kann sie die Freiheit zurückgeben und gewinnt Mut sich ihrer Situation zu stellen, auch wenn sie allein wohl keinen Ausweg sieht. Das macht ihr Carabosse und die Kreaturen der Finsternis allzu deutlich.
Aber die Befreiung naht, der Patin gelingt diese, dazu die Festsetzung von Carabosse im Vogelkäfig, die Macht der Finsternis ist gebrochen. Das hat etwas von Hänsel und Gretel, nur ist es nicht der Ofen, der einer bösen Hexe den endgültigen Garaus macht. Dämonie und Finsternis sind nur gefangen, nicht aber besiegt.
Und dann findet das sensationell getanzte und gespielte Märchen sein entsprechendes Ende. Die Videosequenz, die noch einmal den letzten Vorhang streift, untermalt die Befreiung von Dämonie und Schattenwelt. Nur im Märchen gibt es sie, diese klare Trennung von Schatten und Licht. Die Sehnsucht danach ist in uns Menschen angelegt und darum sehen wir sie gerne diese Erzählungen der schönen heilen Welt, in der noch immer alles in Ordnung scheint.
Maria Hilchenbach ist mit der Dramaturgie tatsächlich ihre ganz ureigene Neufassung dieses großen Tschaikowski Werkes gelungen, eben Dornröschen reloaded. Auch der Meister hätte daran sicher seine helle Freude gehabt.
Die Begeisterung des Publikums galt ungeteilt allen Beteiligten, die im Vorder- und Hintergrund zu einer überaus gelungenen Premiere beigetragen haben.
Noch fünfmal vor der Spielpause ist dieses rasante Märchen zu sehen: Donnerstag, 31.5.2012; Freitag, 8. Juni 2012; Mittwoch, 13.6.2012; Dienstag, 19. Juni 2012 und Freitag, 22. Juni 2012. Gut das diese erlebnisreiche Ballettaufführung auch im neuen Spielplan seinen Platz hat.
Ein Blick auf das großartige Ensemble und die Verantwortlichen darf nicht fehlen:
Musikalische Leitung: Steffen Müller-Gabriel; Inszenierung und Choreographie: Ricardo Fernando; Ausstattung: Dorin Gal; Dramaturgie: Maria Hilchenbach; Choreographische Assistenz: Carla Silva; Ballettrepetitor: Michael Albert; Inspizienz: Svenja Wessing
Tänzerinnen und Tänzer: Yoko Furihatta; Hayley Macri; Leszek Januszewski; Lara Liol; Huy Tien Tran; Marcelo Moraes; Matthew Williams; Andre´ Boata; Juan Bockamp; Peter Matkaiczek; Emanuele Pipi; Vladimir de Freitas; Debora Buhatem; Giulia Fabris; Noemi Martone; Carolinne de Oliveira und Hinako Sakuraoka.
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