Mittwoch, 7. März 2012

„Der Stärkungspakt Stadtfinanzen hat gravierende Schwächen“


Das Aktionsbündnis „Raus aus den Schulden“ macht Druck auf Landesregierung und Landtag

Hagen / Mühlheim, 7. März 2012 – „Wir fordern dringend eine Nachbesserung des Gesetzes zum „Stärkungspakt Stadtfinanzen“, weil viele nordrhein-westfälische Kommu­nen sonst keine Chance haben, sich aus ihrer weitgehend unverschuldeten Finanznot selbst zu befreien“. Mit diesem Appell seiner Sprecherin Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld (Mülheim an der Ruhr) wendet sich das partei­übergreifende Aktionsbündnis „Raus aus den Schulden / Für die Würde unserer Städte“ (dem auch Hagen angehört) erneut an Landesregierung und Landtag.

Für die Oberbürgermeister, Landräte und Kämmerer von fast 30 Kommunen vorwiegend aus dem Ruhrgebiet und dem Bergischen Land richtete sie aktuell einen vier Seiten langen Brief mit einer Vielzahl konkreter Verbesserungs­vorschläge an Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Das Schreiben ging zudem in Kopie an Landesinnenminister Ralf Jäger, die Vorsitzenden der Landtagsfraktionen und an die Medien.
Wichtigstes Anliegen der Kommunalpolitiker - so Mülheims Stadtkämmerer Uwe Bonan - „ist die Ausweitung des Stär­kungspaktes um weitere 104 strukturell unterfinanzierte Kommunen, die keinen ausgeglichenen Haushalt aufstellen können, unter Nothaushaltsrecht stehen und denen es teilweise noch schlechter geht als denjenigen Gemeinden, die bereits vom Stärkungspakt profitieren.“
Die beiden Sprecher des Bündnisses warnen vor einer weiteren Spaltung der kommunalen Familie, und sie machen deutlich, dass sich das Aktionsbündnis durchaus der schwierigen Finanzsituation von Land und Bund bewusst ist. Dazu Oberbürgermeisterin Mühlenfeld: „Wir erkennen die ersten Schritte in die richtige Richtung sehr wohl an. Trotzdem müssen wir deutlich machen, dass der Stärkungspakt eine Vielzahl gravierender Schwächen hat. Werden die nicht abgestellt, fehlt vielen Kommunen eine Perspektive. Und dazu können wir nicht schweigen.“
Sorge macht dem Aktionsbündnis auch die offensichtlich vom Innenministerium verfolgte Absicht, seinen bislang geltenden Leitfaden „Maßnahmen und Verfahren zur Haushaltssicherung“ außer Kraft zu setzen. Das schränke den Handlungsrahmen der vom Land in ihrer Finanznot allein gelassenen Kommunen noch mehr ein.
Dass das Aktionsbündnis solidarisch und über Partei­gren­zen hinweg kämpfen kann, hat es in den letzten Jahren mehrfach bewiesen. So zwang es den Landtag zu einer Sondersitzung über die dramatische kommunale Verschul­dung. Dabei hatten sämtliche Redner versprochen, den Kommunen in ihrer Notlage zu helfen. „Diese Versprechen sind längst nicht erfüllt“, sagt Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld.
Hagens Oberbürgermeister Jörg Dehm und Kämmerer Christoph Gerbersmann unterstützen den Brief an die Minis­ter­präsidentin: „Die Landesregierung und die Land­tags­fraktionen dürfen sich der Weiterentwicklung des Ge­setzes zum Stärkungspakt nicht verschließen. Sie müssen die Forderungen unseres Aktionsbündnisses erfül­len. Wir bleiben mit am Ball.“





Weiterentwicklung des Stärkungspaktes Stadtfinanzen und Leitfaden „Maßnahmen und Verfahren zur Haushaltssicherung“
Sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin,
liebe Frau Kraft,
das Aktionsbündnis „Raus aus den Schulden / Für die Würde unserer Städte“ hat bereits mehrfach versucht, mit Weiterentwicklungsvorschlägen zum Gesetzentwurf für den „Stärkungspakt Stadtfinanzen“ landesseitiges Gehör zu finden. Leider bislang ohne Erfolg. Dennoch lassen wir uns nicht entmutigen!
Erstaunlicherweise scheint aktuell sogar die Meinung vorzuherrschen, dass durch Verbesserungen am Gemeindefinanzierungsgesetz, mit dem Inkrafttreten der Änderung des § 76 GO NRW und der Verabschiedung des Stärkungspaktgesetzes die bisherigen Nothaushaltskommunen grundsätzlich in der Lage sind, genehmigungsfähige Haushaltssicherungskonzepte bzw. einen den Vorgaben des Stärkungspaktgesetzes entsprechenden Haushaltssanierungsplan vorzulegen.
Diesen Optimismus können wir so nicht teilen. Deshalb sehen wir uns veranlasst, einen erneuten Vorstoß zu unternehmen.
Wir stehen auch weiterhin loyal zu den Kommunen, die bereits in der ersten Stufe in 2011 eine Landeshilfe zur Konsolidierung ihrer Haushalte erhalten haben. Wir weisen aber noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass diese Hilfe für die kommunale Familie insgesamt zu kurz greift! Wir fordern weiterhin Hilfe auch für die Städte, die ebenso (oder sogar noch stärker) betroffen sind und denen es trotz intensiver Bemühungen nicht gelingt, genehmigungsfähige Haushaltssicherungskonzepte vorzulegen.
Wir haben in der Vergangenheit immer wieder dargestellt, dass durch den Stärkungspakt alle Nothaushaltskommunen profitieren müssen, um das grundlegende Problem der kommunalen Finanzmisere zu lösen - hiervon sind wir mit dem aktuellen Stand leider weit entfernt. Mindestens 104 Kommunen muss noch geholfen werden.
Das Zugangskriterium für „Hilfe aus dem Stärkungspakt“ ist weiterhin ausschließlich die Überschuldung, obwohl sich hierin nachweislich nicht die tatsächliche finanzielle Lage einer notleidenden Kommune wider spiegelt. Die Notwendigkeit zur Unterstützung einer Kommune wird viel mehr mit der Betrachtung des aktuellen strukturellen Defizits und des damit einhergehenden stetigen Anstieges des Volumens der Liquiditätskredite dargestellt. Auch das haben wir schon mehrfach an konkreten Beispielen dokumentiert.
Da die Stufe 2 bisher lediglich aus kommunalen Mitteln finanziert wird, kommt es zu der absurden Situation, dass Kommunen, die sich nicht für die Stufe 2 bewerben (können) bzw. auf Grund der begrenzten Mittel nicht berücksichtigt werden können über den Verlust von Schlüsselzuweisungen die in der Stufe 2 teilnehmenden Kommunen mitfinanzieren. Somit gilt: Arm finanziert ärmer!
Darüber hinaus ist die Entscheidung über die Abundanzumlage verschoben worden, so dass die große Gefahr besteht, dass auch dieser Betrag als Vorwegabzug aus dem GFG 2014 von den armen Kommunen finanziert wird und die so genannten „reichen Städte“ sich gar nicht an der Finanzierung der Stufe 2 beteiligen. Diese Verfahrensweise ist insgesamt nicht hinnehmbar!
Da noch viele Eröffnungsbilanzen und Jahresabschlüsse fehlen, aus den Haushaltsdaten 2010 eine Überschuldung in 2016 nicht konkret ablesbar ist und bis dato auch bereits viele Veränderungen eingetreten sind, kommt es u. a. zu folgenden „Ungereimtheiten“:


  • Kommune errechnet für 2016 aus den Haushaltsdaten 2010 eine Überschuldung; aus dem Haushalt 2012 ist allerdings ersichtlich, dass aufgrund anders und tatsächlich eingetretener Entwicklungen keine Überschuldung in 2016 entsteht: trotzdem ist eine Teilnahme an der Stufe 2 möglich.
  • Die GPA stellt im Rahmen der Prüfung der Eröffnungsbilanz fest, dass eine Höherbewertung des Vermögens erforderlich und somit ein höheres Eigenkapital gegeben ist und die Überschuldung in 2016 nicht entsteht: trotzdem wäre eine Teilnahme an Stufe 2 erfolgt.

Wir hatten bereits sehr frühzeitig gefordert, dass das Hilfsvolumen verändert werden muss und auch ganz konkrete Vorschläge erarbeitet. Leider hat es auch hier keine Bewegung gegeben, so dass es nunmehr als gesichert gilt, dass mehr Anträge für die Teilnahme an der Stufe 2 gestellt werden als Mittel zur Verfügung stehen.
Somit ist auch für die Stufe 2 ein hohes „Klagepotenzial“ der Kommunen gegeben.
Zudem scheint es Unstimmigkeiten bezüglich der mit dem Gesetz verabschiedeten Anlage hinsichtlich der Zahlen für die Mittelverteilung zu geben. Auch hierfür bedarf es einer schnellen Lösung.
Es besteht alles in allem dringender und sofortiger Nachbesserungsbedarf beim Stärkungspaktgesetz, damit nicht eine weitere Spaltung der kommunalen Familie entsteht und eine Hilfe für alle notleidenden Kommunen erreicht wird.
Die wesentlichen Veränderungsnotwendigkeiten in Kurzform:
  • klares und nicht beeinflussbares Zugangskriterium für Stufe 2 anstatt erkennbare Überschuldung in 2016 aus den Haushaltsdaten 2010 ( „Nothaushaltskommune“ 2010) und entsprechende Aufstockung des Finanzvolumens durch Landesmittel
  • keine freiwillige Teilnahme sondern „Pflichtteilnahme“.
Ganz aktuell droht für die „übrig gebliebenen Kommunen“ nun auch noch eine weitere Verschlechterung: Der Wegfall des Leitfadens „Maßnahmen und Verfahren zur Haushaltssicherung“ und die damit verbundene Anwendung des Nothaushaltsrechts (§ 82 GO) in „Reinkultur“ führt letztendlich dazu, dass die betroffenen Kommunen noch weniger Handlungsspielraum haben und schlechter gestellt werden als bisher. Das ist inakzeptabel! Wenn der Innenminister in einem Schreiben an die Gewerkschaft ver.di davon spricht, das das Ziel des Stärkungspaktes „die Wiederherstellung der kommunalen Handlungsfähigkeit“ ist, wirkt dies vor dem Hintergrund der aktuellen Überlegungen das für die betroffenen Kommunen wie ein Schlag ins Gesicht.

Die Planung und Durchführung neuer (Investitions-) - Maßnahmen wäre bei Wegfall des Leitfadens grundsätzlich nicht möglich.
Aufgestellte Gebäudesanierungspläne für Schulen, Kindertagesstätten etc., der U-3–Ausbau und der Ausbau der Ganztagsbetreuung an Schulen wären gefährdet.
Die bisher zur Verfügung gestellte Kreditlinie/-ermächtigung (Kreditbudget) würde ersatzlos entfallen. Handlungs- und Planungssicherheit gingen verloren.
Für den konsumtiven Bereich trifft der Leitfaden u. a. Regelungen hinsichtlich der Möglichkeiten zur Beförderung von Beamten (Beförderungskorridor). Eine Aufhebung führt dazu, dass grundsätzlich gar keine Beförderungen mehr durchgeführt werden können. Im Zuge einer modernen Personalentwicklung ist dies nicht vertretbar. Die dadurch entstehende Perspektivlosigkeit ist nicht hinnehmbar.
Eine Vielzahl von notleidenden Kommunen können wegen der mangelhaften Ausgestaltung /Ausstattung am Stärkungspakt nicht teilnehmen und kein genehmigungsfähiges Haushaltssicherungskonzept aufstellen. Für diese Kommunen wird nun die Vergeblichkeitsfalle zementiert. Die kommunale Handlungsfähigkeit wird hierdurch ausgeschlossen und die Ungleichbehandlung notleidender Kommunen gefördert.
Das ist nicht kommunalfreundlich und ein Rückschritt für die kommunale Familie! Der Leitfaden muss an die aktuellen Entwicklungen angepasst werden und erhalten bleiben.
In der Erwartung, dass „steter Tropfen den Stein höhlt“ und wir mit unseren nachweislich zutreffenden Argumenten, wie gerade erst der Verfassungsgerichtshof in Rheinland-Pfalz für die dortigen Kommunen festgestellt hat, nicht weiterhin vor eine hohe Mauer laufen, freuen wir uns auf Ihre Rückäußerung und stehen für konstruktive Gespräche gerne auch persönlich zur Verfügung.
Ihr Einverständnis voraussetzend, werden wir dieses Schreiben Herrn Innenminister Jäger und den Fraktionen des Landtages NRW zuleiten und anschließend auch die Medien informieren, dass das Aktionsbündnis „Raus aus den Schulden / Für die Würde unserer Städte“ parteiübergreifend zusammenhält und weiter gegen den drohenden Absturz vieler Kommunen kämpft! 

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