Hagen
/ Mühlheim, 7. März 2012 – „Wir
fordern dringend eine Nachbesserung des Gesetzes zum „Stärkungspakt
Stadtfinanzen“, weil viele nordrhein-westfälische Kommunen
sonst keine Chance haben, sich aus ihrer weitgehend unverschuldeten
Finanznot selbst zu befreien“. Mit diesem Appell seiner Sprecherin
Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld (Mülheim an der Ruhr) wendet
sich das parteiübergreifende Aktionsbündnis „Raus aus den
Schulden / Für die Würde unserer Städte“ (dem auch Hagen
angehört) erneut an Landesregierung und Landtag.
Für
die Oberbürgermeister, Landräte und Kämmerer von fast 30 Kommunen
vorwiegend aus dem Ruhrgebiet und dem Bergischen Land richtete sie
aktuell einen vier Seiten langen Brief mit einer Vielzahl konkreter
Verbesserungsvorschläge an Ministerpräsidentin Hannelore
Kraft. Das Schreiben ging zudem in Kopie an Landesinnenminister Ralf
Jäger, die Vorsitzenden der Landtagsfraktionen und an die Medien.
Wichtigstes
Anliegen der Kommunalpolitiker - so Mülheims Stadtkämmerer Uwe
Bonan - „ist die Ausweitung des Stärkungspaktes um weitere
104 strukturell unterfinanzierte Kommunen, die keinen ausgeglichenen
Haushalt aufstellen können, unter Nothaushaltsrecht stehen und denen
es teilweise noch schlechter geht als denjenigen Gemeinden, die
bereits vom Stärkungspakt profitieren.“
Die
beiden Sprecher des Bündnisses warnen vor einer weiteren Spaltung
der kommunalen Familie, und sie machen deutlich, dass sich das
Aktionsbündnis durchaus der schwierigen Finanzsituation von Land
und Bund bewusst ist. Dazu Oberbürgermeisterin Mühlenfeld: „Wir
erkennen die ersten Schritte in die richtige Richtung sehr wohl an.
Trotzdem müssen wir deutlich machen, dass der Stärkungspakt eine
Vielzahl gravierender Schwächen hat. Werden die nicht abgestellt,
fehlt vielen Kommunen eine Perspektive. Und dazu können wir nicht
schweigen.“
Sorge
macht dem Aktionsbündnis auch die offensichtlich vom
Innenministerium verfolgte Absicht, seinen bislang geltenden
Leitfaden „Maßnahmen und Verfahren zur Haushaltssicherung“ außer
Kraft zu setzen. Das schränke den Handlungsrahmen der vom Land in
ihrer Finanznot allein gelassenen Kommunen noch mehr ein.
Dass
das Aktionsbündnis solidarisch und über Parteigrenzen
hinweg kämpfen kann, hat es in den letzten Jahren mehrfach bewiesen.
So zwang es den Landtag zu einer Sondersitzung über die dramatische
kommunale Verschuldung. Dabei hatten sämtliche Redner
versprochen, den Kommunen in ihrer Notlage zu helfen. „Diese
Versprechen sind längst nicht erfüllt“, sagt Oberbürgermeisterin
Dagmar Mühlenfeld.
Hagens
Oberbürgermeister Jörg Dehm und Kämmerer Christoph Gerbersmann
unterstützen den Brief an die Ministerpräsidentin: „Die
Landesregierung und die Landtagsfraktionen dürfen sich der
Weiterentwicklung des Gesetzes zum Stärkungspakt nicht
verschließen. Sie müssen die Forderungen unseres Aktionsbündnisses
erfüllen. Wir bleiben mit am Ball.“
Weiterentwicklung des Stärkungspaktes Stadtfinanzen und Leitfaden „Maßnahmen und Verfahren zur Haushaltssicherung“
Sehr
geehrte Frau Ministerpräsidentin,
liebe
Frau Kraft,
das
Aktionsbündnis „Raus aus den Schulden / Für die Würde unserer
Städte“ hat bereits mehrfach versucht, mit
Weiterentwicklungsvorschlägen zum Gesetzentwurf für den
„Stärkungspakt Stadtfinanzen“
landesseitiges Gehör zu finden. Leider bislang ohne Erfolg. Dennoch
lassen wir uns nicht entmutigen!
Erstaunlicherweise
scheint aktuell sogar die Meinung vorzuherrschen, dass durch
Verbesserungen am Gemeindefinanzierungsgesetz, mit dem Inkrafttreten
der Änderung des § 76 GO NRW und der Verabschiedung des
Stärkungspaktgesetzes die bisherigen Nothaushaltskommunen
grundsätzlich in der Lage sind, genehmigungsfähige
Haushaltssicherungskonzepte bzw. einen den Vorgaben des
Stärkungspaktgesetzes entsprechenden Haushaltssanierungsplan
vorzulegen.
Diesen
Optimismus können wir so nicht teilen. Deshalb sehen wir uns
veranlasst, einen erneuten Vorstoß zu unternehmen.
Wir
stehen auch weiterhin loyal zu den Kommunen, die bereits in der
ersten Stufe in 2011 eine Landeshilfe zur Konsolidierung ihrer
Haushalte erhalten haben. Wir weisen aber noch einmal ausdrücklich
darauf hin, dass diese Hilfe für die
kommunale Familie insgesamt zu kurz greift!
Wir fordern weiterhin Hilfe auch für die Städte, die ebenso (oder
sogar noch stärker) betroffen sind und denen es trotz intensiver
Bemühungen nicht gelingt, genehmigungsfähige
Haushaltssicherungskonzepte vorzulegen.
Wir
haben in der Vergangenheit immer wieder dargestellt, dass durch den
Stärkungspakt alle
Nothaushaltskommunen profitieren müssen, um das grundlegende Problem
der kommunalen Finanzmisere zu lösen - hiervon sind wir mit dem
aktuellen Stand leider weit entfernt. Mindestens 104 Kommunen muss
noch geholfen werden.
Das
Zugangskriterium für „Hilfe aus dem Stärkungspakt“ ist
weiterhin ausschließlich die Überschuldung, obwohl sich hierin
nachweislich nicht die tatsächliche finanzielle Lage einer
notleidenden Kommune wider spiegelt. Die Notwendigkeit zur
Unterstützung einer Kommune wird viel mehr mit der Betrachtung des
aktuellen strukturellen Defizits und des damit einhergehenden
stetigen Anstieges des Volumens der Liquiditätskredite dargestellt.
Auch das haben wir schon mehrfach an konkreten Beispielen
dokumentiert.
Da die
Stufe 2 bisher lediglich aus kommunalen Mitteln finanziert wird,
kommt es zu der absurden Situation, dass Kommunen, die sich nicht für
die Stufe 2 bewerben (können) bzw. auf Grund der begrenzten Mittel
nicht berücksichtigt werden können über den Verlust von
Schlüsselzuweisungen die in der Stufe 2 teilnehmenden Kommunen
mitfinanzieren. Somit gilt: Arm finanziert ärmer!
Darüber
hinaus ist die Entscheidung über die Abundanzumlage verschoben
worden, so dass die große Gefahr besteht, dass auch dieser Betrag
als Vorwegabzug aus dem GFG 2014 von den armen Kommunen finanziert
wird und die so genannten „reichen Städte“ sich gar nicht an der
Finanzierung der Stufe 2 beteiligen. Diese Verfahrensweise ist
insgesamt nicht hinnehmbar!
Da noch
viele Eröffnungsbilanzen und Jahresabschlüsse fehlen, aus den
Haushaltsdaten 2010 eine Überschuldung in 2016 nicht konkret
ablesbar ist und bis dato auch bereits viele Veränderungen
eingetreten sind, kommt es u. a. zu folgenden „Ungereimtheiten“:
- Kommune errechnet für 2016 aus den Haushaltsdaten 2010 eine Überschuldung; aus dem Haushalt 2012 ist allerdings ersichtlich, dass aufgrund anders und tatsächlich eingetretener Entwicklungen keine Überschuldung in 2016 entsteht: trotzdem ist eine Teilnahme an der Stufe 2 möglich.
- Die GPA stellt im Rahmen der Prüfung der Eröffnungsbilanz fest, dass eine Höherbewertung des Vermögens erforderlich und somit ein höheres Eigenkapital gegeben ist und die Überschuldung in 2016 nicht entsteht: trotzdem wäre eine Teilnahme an Stufe 2 erfolgt.
Wir
hatten bereits sehr frühzeitig gefordert, dass das Hilfsvolumen
verändert werden muss und auch ganz konkrete Vorschläge erarbeitet.
Leider hat es auch hier keine Bewegung gegeben, so dass es nunmehr
als gesichert gilt, dass mehr Anträge für die Teilnahme an der
Stufe 2 gestellt werden als Mittel zur Verfügung stehen.
Somit
ist auch für die Stufe 2 ein hohes „Klagepotenzial“ der Kommunen
gegeben.
Zudem
scheint es Unstimmigkeiten bezüglich der mit dem Gesetz
verabschiedeten Anlage hinsichtlich der Zahlen für die
Mittelverteilung zu geben. Auch hierfür bedarf es einer schnellen
Lösung.
Es
besteht alles in allem dringender und sofortiger Nachbesserungsbedarf
beim Stärkungspaktgesetz, damit nicht eine weitere Spaltung der
kommunalen Familie entsteht und eine Hilfe für alle
notleidenden Kommunen erreicht wird.
Die
wesentlichen Veränderungsnotwendigkeiten in Kurzform:
- klares und nicht beeinflussbares Zugangskriterium für Stufe 2 anstatt erkennbare Überschuldung in 2016 aus den Haushaltsdaten 2010 ( „Nothaushaltskommune“ 2010) und entsprechende Aufstockung des Finanzvolumens durch Landesmittel
- keine freiwillige Teilnahme sondern „Pflichtteilnahme“.
Ganz
aktuell droht für die „übrig gebliebenen Kommunen“ nun auch
noch eine weitere Verschlechterung: Der
Wegfall des Leitfadens
„Maßnahmen und Verfahren zur
Haushaltssicherung“ und die damit
verbundene Anwendung des Nothaushaltsrechts (§ 82 GO) in
„Reinkultur“ führt letztendlich dazu, dass die betroffenen
Kommunen noch weniger Handlungsspielraum haben und schlechter
gestellt werden als bisher. Das ist inakzeptabel! Wenn der
Innenminister in einem Schreiben an die Gewerkschaft ver.di davon
spricht, das das Ziel des Stärkungspaktes „die Wiederherstellung
der kommunalen Handlungsfähigkeit“ ist, wirkt dies vor dem
Hintergrund der aktuellen Überlegungen das für die betroffenen
Kommunen wie ein Schlag ins Gesicht.
Die
Planung und Durchführung neuer (Investitions-) - Maßnahmen wäre
bei Wegfall des Leitfadens grundsätzlich nicht möglich.
Aufgestellte
Gebäudesanierungspläne für Schulen, Kindertagesstätten etc., der
U-3–Ausbau und der Ausbau der Ganztagsbetreuung an Schulen wären
gefährdet.
Die
bisher zur Verfügung gestellte Kreditlinie/-ermächtigung
(Kreditbudget) würde ersatzlos entfallen. Handlungs- und
Planungssicherheit gingen verloren.
Für
den konsumtiven Bereich trifft der Leitfaden u. a. Regelungen
hinsichtlich der Möglichkeiten zur Beförderung von Beamten
(Beförderungskorridor). Eine Aufhebung führt dazu, dass
grundsätzlich gar keine Beförderungen mehr durchgeführt werden
können. Im Zuge einer modernen Personalentwicklung ist dies nicht
vertretbar. Die dadurch entstehende Perspektivlosigkeit ist nicht
hinnehmbar.
Eine
Vielzahl von notleidenden Kommunen können wegen der mangelhaften
Ausgestaltung /Ausstattung am Stärkungspakt nicht teilnehmen und
kein genehmigungsfähiges Haushaltssicherungskonzept aufstellen. Für
diese Kommunen wird nun die Vergeblichkeitsfalle zementiert. Die
kommunale Handlungsfähigkeit wird hierdurch ausgeschlossen und die
Ungleichbehandlung notleidender Kommunen gefördert.
Das ist
nicht kommunalfreundlich und ein Rückschritt für die kommunale
Familie! Der Leitfaden muss an die aktuellen Entwicklungen angepasst
werden und erhalten bleiben.
In der
Erwartung, dass „steter Tropfen den Stein höhlt“ und wir mit
unseren nachweislich zutreffenden Argumenten, wie gerade erst der
Verfassungsgerichtshof in Rheinland-Pfalz für die dortigen Kommunen
festgestellt hat, nicht weiterhin vor eine hohe Mauer laufen, freuen
wir uns auf Ihre Rückäußerung und stehen für konstruktive
Gespräche gerne auch persönlich zur Verfügung.
Ihr
Einverständnis voraussetzend, werden wir dieses Schreiben Herrn
Innenminister Jäger und den Fraktionen des Landtages NRW zuleiten
und anschließend auch die Medien informieren, dass das
Aktionsbündnis „Raus aus den Schulden / Für die Würde unserer
Städte“ parteiübergreifend zusammenhält und weiter gegen den
drohenden Absturz vieler Kommunen kämpft!
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