„Wir
müssen Abschied nehmen von der wohl prominentesten Bürgerin unserer
Stadt. Von einer der ganz großen Liberalen der deutschen
Nachkriegsgeschichte. Hagen trauert um Dr. h.c. Liselotte Funcke.“
Mit
diesen Worten von Trauer und Betroffenheit hat am Donnerstag, 2.
August, Hagens Oberbürgermeister Jörg Dehm auf den Tod von Dr. h.c.
Liselotte Funcke reagiert, die gestern im Alter von 94 Jahren starb.
Die Hagenerinnen und Hagener waren – über alle parteipolitischen
Grenzen hinweg – immer stolz auf diese außergewöhnliche Frau, die
ihre enge Verbindung zur Heimatstadt Hagen stets behielt. In Hagen
wurde sie am 20. Juli 1918 als viertes Kind des Fabrikanten Oskar
Funcke geboren, ihre Mutter entstammte der Bankiersfamilie Osthaus.
Hier besuchte sie das Realgymnasium, an dem sie 1937 das Abitur
ablegte. Und hier arbeitete sie nach dem erfolgreichen Studium der
Betriebswirtschaftslehre in Berlin noch bis Ende der siebziger Jahre
als Prokuristin für Bilanzen, Steuerrecht und Finanzwesen in der
schon vom Urgroßvater gegründeten Schraubenfabrik und
Gesenkschmiede Funcke & Hueck.
Schon
im Jahr 1946 schloss sich Liselotte Funcke der FDP an, ihr Name und
der ihres Vaters Oskar stehen gemeinsam mit dem Willi Weyers und
anderen für erstes liberales Engagement auf kommunaler Ebene in den
Nachkriegsjahren. Dieses kommunale politische Engagement in Trümmern
war die Grundlage für einen atemberaubenden politischen Lebensweg.
Schon 1947 wird Liselotte Funcke Mitglied des nordrhein-westfälischen
Landesvorstandes der Deutschen Jungdemokraten NRW, im gleichen Jahr
Mitglied des FDP-Landesvorstandes. Ein Jahr später übernimmt sie
den Vorsitz des FDP-Landesfrauenausschusses, den sie 20 Jahre lang
inne haben wird. 1964 rückt Liselotte Funcke in den
FDP-Bundesvorstand und 1968 ins FDP-Präsidium. Auf dem Parteitag in
Kiel wird sie 1977 als Nachfolgerin von Hans Friderichs zur
stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt.
Einher
mit ihrem vielfältigen parteipolitischen Engagement geht ihr Wirken
in höchsten staatlichen Ämtern. Nach elfjähriger Zugehörigkeit
zum nordrhein-westfälischen Landtag wechselt Liselotte Funcke 1961
in den Deutschen Bundestag, wird 1966 stellvertretende Vorsitzende
des Finanzausschusses und ab 1972 Vorsitzende des Finanzausschusses.
Zehn Jahre lang (1969 bis 1979) bekleidet sie das Amt der
Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages. Im November 1979 folgt
sie dem Wunsch der Partei und wird im Kabinett des jungen
Ministerpräsidenten Johannes Rau Nachfolgerin des
nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministers Horst-Ludwig Riemer.
Bei den Landtagswahlen im Mai 1980 ist sie Spitzenkandidatin ihrer
Partei, die FDP scheitert aber knapp an der Fünf-Prozent-Marke. Ein
Jahr später holt Hans-Dietrich Genscher Liselotte Funcke als
Nachfolgerin von Heinz Kühn im Amt der Ausländerbeauftragten der
Bundesregierung zurück nach Bonn.
Dieses
Amt wird ihren Ruf als unbeugsame Liberale später besonders prägen.
Als eine Leitfigur der sozialliberalen Koalition unter Bundeskanzler
Helmut Schmidt legt sie das Amt zunächst aus Protest gegen die
„Bonner Wende“ 1982 nieder, nimmt es im November 1982 auf Bitten
des neu gewählten Bundeskanzlers Helmut Kohl aber wieder auf. Eine
Entscheidung, die in den folgenden Jahren immer wieder zu heftigen
Auseinandersetzungen insbesondere mit Innenminister Friedrich
Zimmermann, dem CDU/CSU-Fraktionschef Alfred Dregger oder Politikern
wie dem CSU-Politiker Peter Gauweiler führt.
Denn
Liselotte Funcke sieht ihr Amt nicht als „Feigenblatt“ für
deutsche Innenpolitik, sondern als Herausforderung für die Arbeit an
einer besseren Gesellschaft. Ausgerüstet mit beeindruckendem
Vertrauen in ihre Person in der deutschen Bevölkerung, versteht sie
es schnell, sich zur „Dolmetscherin“ der Probleme der
ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger zu machen. Dies gilt
insbesondere für die größte Gruppe, die der türkischen
Mitbürgerinnen und Mitbürger. Der Name „Mutter der Türken“,
ein Begriff, der Respekt und Dankbarkeit zugleich beinhaltet, ist die
Auszeichnung, die ihr die Menschen selbst verleihen. Zahlreiche
höchste internationale Preise bezeugen die große Wertschätzung und
Anerkennung, die dem Wirken Liselotte Funckes auf internationaler
Ebene entgegengebracht wird. Von der Bundesregierung unter Helmut
Kohl und vom Bundeskanzler selbst fühlt sich die Liberale immer
wieder allein gelassen - bis sie zum 15. Juli 1991 ihren Rücktritt
als Ausländerbeauftragte der Bundesregierung erklärt.
Doch
auch ohne dieses Amt blieb Liselotte Funcke bis zu ihrem Tod nicht
nur international anerkannte und immer wieder zum Rat herangezogene
Expertin für Ausländerfragen – nein, gerade viele ausländische
Mitbürgerinnen und Mitbürger haben sie bis heute ins Herz
geschlossen.
Trotz
ihrer schier endlosen Ämter und Funktionen nahm sich Liselotte
Funcke stets die Zeit, sich auch in Hagen zu engagieren. So hat sich
Liselotte Funcke über viele Jahrzehnte in den Dienst der behinderten
Menschen gestellt. Insbesondere hat sie das Geschehen bei der
Evangelischen Stiftung Volmarstein im Vorstand und Kuratorium
maßgeblich mitbestimmt. Ihr Engagement zum Erhalt und zur Sanierung
des Eugen Richter-Turms im eigens gegründeten Eugen
Richter-Turm-Verein, dessen Vorsitzende sie bis zum Frühjahr 2002
war, zeigt ihr reges Interesse an Fragen in ihrer Heimatstadt bis ins
hohe Alter. An ihre Heimatstadt bindet sie aber auch eine
Ehrendoktorwürde der Fernuniversität Hagen - die einzige deutsche
Fernuniversität brachte mit dieser Auszeichnung die Würdigung des
gesellschaftlichen Wirkens von Liselotte Funcke zum Ausdruck.
Liselotte
Funcke gehört zu einer Generation von Politikerinnen und Politikern,
die viele heute vermissen. Geprägt von den Erfahrungen der Nazizeit
und des Krieges, ging sie nach dem Krieg mit Mut, Elan und Erfolg an
den demokratischen Wiederaufbau unseres Landes. Ihre Integrität, ihr
„feiner weiblicher Instinkt für Ungerechtigkeit und
Unmenschlichkeit“ wie Walter Scheel es einmal sagte, ihre
„gestochene Sachlichkeit“ (so Herbert Wehner anerkennend)
verschafften ihr eine tiefe Glaubwürdigkeit und ein ganz breites
Vertrauen in der Bevölkerung. Wie sehr man sie schätzte, wurde in
einem größeren Rahmen noch einmal auf dem Festakt anlässlich ihres
90. Geburtstages deutlich. Die Stadt und die FDP nahmen den
Geburtstag zum Anlass, um die „große Dame der deutschen Politik“
(so Guido Westerwelle) zu ehren. Oberbürgermeister Jörg Dehm: „Wir
werden Liselotte Funcke so in Erinnerung behalten, wie die Hagener
sie immer kannten: Als Dame, aber für jeden offen und zugänglich.
Menschlichkeit, Dialogbereitschaft, Tatkraft und Glaubwürdigkeit
sind von Liselotte Funcke nie gespielt, sondern stets gelebt worden.“
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