Donnerstag, 2. August 2012

Hagen trauert um Liselotte Funcke

Im Jahr 2009 erhielt Hagens Ehrenbürgerin einen Antrittsbesuch von Oberbürgermeister Jörg Dehm (re.). Gemeinsam mit dem FDP-Kreis­vor­sitzenden Ulrich Alda tauschte sich OB Dehm mit Liselotte Funcke über ihre zurückliegenden politischen Tätigkeiten und aktuelle Themen aus. (Foto: Michael Kaub/Stadt Hagen) 

„Wir müssen Abschied nehmen von der wohl prominentesten Bürgerin unserer Stadt. Von einer der ganz großen Liberalen der deutschen Nachkriegsgeschichte. Hagen trauert um Dr. h.c. Liselotte Funcke.“
Mit diesen Worten von Trauer und Betroffenheit hat am Donnerstag, 2. August, Hagens Oberbürgermeister Jörg Dehm auf den Tod von Dr. h.c. Liselotte Funcke reagiert, die gestern im Alter von 94 Jahren starb. Die Hagenerinnen und Hagener waren – über alle parteipolitischen Grenzen hinweg – immer stolz auf diese außergewöhnliche Frau, die ihre enge Verbindung zur Heimatstadt Hagen stets behielt. In Hagen wurde sie am 20. Juli 1918 als viertes Kind des Fabrikanten Oskar Funcke geboren, ihre Mutter entstammte der Bankiersfamilie Osthaus. Hier besuchte sie das Realgymnasium, an dem sie 1937 das Abitur ablegte. Und hier arbeitete sie nach dem erfolgreichen Studium der Betriebswirtschaftslehre in Berlin noch bis Ende der siebziger Jahre als Prokuristin für Bilanzen, Steuerrecht und Finanzwesen in der schon vom Urgroßvater gegründeten Schraubenfabrik und Gesenkschmiede Funcke & Hueck.
Schon im Jahr 1946 schloss sich Liselotte Funcke der FDP an, ihr Name und der ihres Vaters Oskar stehen gemeinsam mit dem Willi Weyers und anderen für erstes liberales Engagement auf kommunaler Ebene in den Nachkriegsjahren. Dieses kommunale politische Engagement in Trümmern war die Grundlage für einen atemberaubenden politischen Lebensweg. Schon 1947 wird Liselotte Funcke Mitglied des nordrhein-westfälischen Landesvorstandes der Deutschen Jungdemokraten NRW, im gleichen Jahr Mitglied des FDP-Landesvorstandes. Ein Jahr später übernimmt sie den Vorsitz des FDP-Landesfrauenausschusses, den sie 20 Jahre lang inne haben wird. 1964 rückt Liselotte Funcke in den FDP-Bundesvorstand und 1968 ins FDP-Präsidium. Auf dem Parteitag in Kiel wird sie 1977 als Nachfolgerin von Hans Friderichs zur stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt.

Einher mit ihrem vielfältigen parteipolitischen Engagement geht ihr Wirken in höchsten staatlichen Ämtern. Nach elfjähriger Zugehörigkeit zum nordrhein-westfälischen Landtag wechselt Liselotte Funcke 1961 in den Deutschen Bundestag, wird 1966 stellvertretende Vorsitzende des Finanzausschusses und ab 1972 Vorsitzende des Finanzausschusses. Zehn Jahre lang (1969 bis 1979) bekleidet sie das Amt der Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages. Im November 1979 folgt sie dem Wunsch der Partei und wird im Kabinett des jungen Ministerpräsidenten Johannes Rau Nachfolgerin des nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministers Horst-Ludwig Riemer. Bei den Landtagswahlen im Mai 1980 ist sie Spitzenkandidatin ihrer Partei, die FDP scheitert aber knapp an der Fünf-Prozent-Marke. Ein Jahr später holt Hans-Dietrich Genscher Liselotte Funcke als Nachfolgerin von Heinz Kühn im Amt der Ausländerbeauftragten der Bundesregierung zurück nach Bonn.
Dieses Amt wird ihren Ruf als unbeugsame Liberale später besonders prägen. Als eine Leitfigur der sozialliberalen Koalition unter Bundeskanzler Helmut Schmidt legt sie das Amt zunächst aus Protest gegen die „Bonner Wende“ 1982 nieder, nimmt es im November 1982 auf Bitten des neu gewählten Bundeskanzlers Helmut Kohl aber wieder auf. Eine Entscheidung, die in den folgenden Jahren immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen insbesondere mit Innenminister Friedrich Zimmermann, dem CDU/CSU-Fraktionschef Alfred Dregger oder Politikern wie dem CSU-Politiker Peter Gauweiler führt.
Denn Liselotte Funcke sieht ihr Amt nicht als „Feigenblatt“ für deutsche Innenpolitik, sondern als Herausforderung für die Arbeit an einer besseren Gesellschaft. Ausgerüstet mit beeindruckendem Vertrauen in ihre Person in der deutschen Bevölkerung, versteht sie es schnell, sich zur „Dolmetscherin“ der Probleme der ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger zu machen. Dies gilt insbesondere für die größte Gruppe, die der türkischen Mitbürgerinnen und Mitbürger. Der Name „Mutter der Türken“, ein Begriff, der Respekt und Dankbarkeit zugleich beinhaltet, ist die Auszeichnung, die ihr die Menschen selbst verleihen. Zahlreiche höchste internationale Preise bezeugen die große Wertschätzung und Anerkennung, die dem Wirken Liselotte Funckes auf internationaler Ebene entgegengebracht wird. Von der Bundesregierung unter Helmut Kohl und vom Bundeskanzler selbst fühlt sich die Liberale immer wieder allein gelassen - bis sie zum 15. Juli 1991 ihren Rücktritt als Ausländerbeauftragte der Bundesregierung erklärt.
Doch auch ohne dieses Amt blieb Liselotte Funcke bis zu ihrem Tod nicht nur international anerkannte und immer wieder zum Rat herangezogene Expertin für Ausländerfragen – nein, gerade viele ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger haben sie bis heute ins Herz geschlossen.
Trotz ihrer schier endlosen Ämter und Funktionen nahm sich Liselotte Funcke stets die Zeit, sich auch in Hagen zu engagieren. So hat sich Liselotte Funcke über viele Jahrzehnte in den Dienst der behinderten Menschen gestellt. Insbesondere hat sie das Geschehen bei der Evangelischen Stiftung Volmarstein im Vorstand und Kuratorium maßgeblich mitbestimmt. Ihr Engagement zum Erhalt und zur Sanierung des Eugen Richter-Turms im eigens gegründeten Eugen Richter-Turm-Verein, dessen Vorsitzende sie bis zum Frühjahr 2002 war, zeigt ihr reges Interesse an Fragen in ihrer Heimatstadt bis ins hohe Alter. An ihre Heimatstadt bindet sie aber auch eine Ehrendoktorwürde der Fernuniversität Hagen - die einzige deutsche Fernuniversität brachte mit dieser Auszeichnung die Würdigung des gesellschaftlichen Wirkens von Liselotte Funcke zum Ausdruck.
Liselotte Funcke gehört zu einer Generation von Politikerinnen und Politikern, die viele heute vermissen. Geprägt von den Erfahrungen der Nazizeit und des Krieges, ging sie nach dem Krieg mit Mut, Elan und Erfolg an den demokratischen Wiederaufbau unseres Landes. Ihre Integrität, ihr „feiner weiblicher Instinkt für Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit“ wie Walter Scheel es einmal sagte, ihre „gestochene Sachlichkeit“ (so Herbert Wehner anerkennend) verschafften ihr eine tiefe Glaubwürdigkeit und ein ganz breites Vertrauen in der Bevölkerung. Wie sehr man sie schätzte, wurde in einem größeren Rahmen noch einmal auf dem Festakt anlässlich ihres 90. Geburtstages deutlich. Die Stadt und die FDP nahmen den Geburtstag zum Anlass, um die „große Dame der deutschen Politik“ (so Guido Westerwelle) zu ehren. Oberbürgermeister Jörg Dehm: „Wir werden Liselotte Funcke so in Erinnerung behalten, wie die Hagener sie immer kannten: Als Dame, aber für jeden offen und zugänglich. Menschlichkeit, Dialogbereitschaft, Tatkraft und Glaubwürdigkeit sind von Liselotte Funcke nie gespielt, sondern stets gelebt worden.“

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